Geschichte

Forschen, Sammeln, Erschliessen

Die Geschichte des Volksliedarchivs beginnt 1906 mit einem Aufruf an Vereine und die Presse, das in der Schweiz gängige und mündlich überlieferte Singgut einzusenden zum Zweck einer wissenschaftlich-kritischen Edition. Wenngleich diese letztendlich an der Finanzierung scheiterte, so wurde doch mit diesem Aufruf der Grundstein für eine bedeutende Sammlung von Liedblättern gelegt, die die gesamte Schweiz umfassen. Verdient um die Ordnung und Erschliessung der über 35’000 Liedzettel aus der gesamten Schweiz machte sich Adèle Stoecklin. Die Kernsammlung wird ergänzt durch weitere Bestände, etwa Tonaufnahmen aus Feldforschungen, den Tonbandbestand des Folkfestivals auf der Lenzburg, Nachlässe (In der Gand, Rossat) sowie einen Schallplattenbestand.

In den 1930er-Jahren entstand die Idee eines Atlas der Schweizerischen Volkskunde (ASV). Unter der Leitung von Richard Weiss und Paul Geiger wurde zwischen 1937 und 1942 eine umfassende Erhebung durchgeführt mit dem Ziel, ein Momentbild des Alltags in der Schweiz festzuhalten. Daraus entstanden unter anderem etwa 80’000 Antwortzettel, 2800 fotografische Abzüge und über 950 Negative, die heute im EKWS-Archiv lagern. Die kartografische Auswertung erfolgte durch Weiss und Geiger sowie Elsbeth Liebl, Walter Escher und Arnold Niederer. Von 1950 bis 1988 wurden letztlich 284 thematische Atlaskarten publiziert. Aktuell wird der ASV im Rahmen des Sinergia-Projekts «Participatory Knowledge Practices in Analog and Digital Image Archives PIA» aufgearbeitet und digital zugänglich gemacht.

Das Filmschaffen der SGV begann 1942 mit Aufnahmen von Amateuren zu Arbeitsabläufen primär in Bergregionen. Ab den 1960er-Jahren förderte die SGV junge Filmemacher wie Yves Yersin und Claude Champion, die heute zu den bedeutendsten Schweizer Dokumentarfilmern zählen. Weitere Werke wurden dazugekauft. Ab den 1980er-Jahren erfuhr die Filmproduktion unter Leitung von Dr. Hans-Ulrich Schlumpf eine thematische Ausweitung auf weitere lebensweltliche Bereiche. Später wurden auch studentische Projekte mit Digital Video realisiert. Das Filmarchiv umfasst über hundert restaurierte und grösstenteils digitalisierte Werke, die eine in der Schweiz einmalige Sammlung von Dokumentarfilmen zu Handwerk und Arbeitswelt darstellen.

In den letzten Jahren stand die Aufarbeitung bedeutender Fotosammlungen im Besitz der EKWS im Zentrum. 1931 hatte sich die SGV an die Öffentlichkeit gewandt mit der Bitte, eigene Fotografien und Tonaufnahmen, die den Alltag dokumentieren, einzusenden. Durch diesen «call for images» erreichten über die nächsten Jahre die ersten rund 5000 Fotografien die SGV. Heute umfasst das EKWS-Fotoarchiv ca. eine halbe Million Fotografien aus mehr als 30 Sammlungen. Sie geben einen wertvollen Einblick in den Alltag verschiedener Menschen in der Schweiz und im Ausland während der letzten 170 Jahre. Im Rahmen des Fotoprojektes (2014–2018) konnten dank der Unterstützung öffentlicher und privater Institutionen 17 Sammlungen konserviert, restauriert, digitalisiert und erschlossen werden. In einem aktuellen, vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Sinergia-Forschungsprojekt («Participatory Knowledge Practices in Analog and Digital Image Archives PIA») fungiert das EKWS-Fotoarchiv als zentrale Drehscheibe.

Publikationen

Mit der Gründung der Abteilung für Haus- und Siedlungsformen legte die SGV 1919 den Grundstein für ein veritables Generationenprojekt. Das Interesse galt zunächst «archaischen Urformen» im alpinen Raum. 1944 wurde daraus die «Aktion Bauernhausforschung in der Schweiz», die Häuser als Ausdruck von Lebens- und Wirtschaftsformen verstand. 1965 erschien der 1. Band zum Kanton Graubünden von Christoph Simonett – mittlerweile ein begehrtes Sammlerobjekt. Ab den 1980er-Jahren rückten sozial- und wirtschaftshistorische Fragen zum Alltagsleben ins Zentrum. Diesen Weg konsequent weiter ging Benno Furrer, der das Projekt 2019 mit dem 39. und letzten Band zum Kanton Solothurn erfolgreich abschloss. Zusammen mit der SGV sorgte er dafür, dass das Archiv der Bauernhausforschung nun im Freilichtmuseum Ballenberg für künftige Wissenschaftler:innen zugänglich bleibt.

Von 1993 bis 2014 gab die SGV auf Initiative von Paul Hugger die Reihe «Das volkskundliche Taschenbuch» heraus. Es erschienen insgesamt 53 Bände, die bis dahin nicht öffentlich zugängliche Autobiografien, Tagebücher und Briefwechsel in historisch-kulturwissenschaftlichen Editionen aufschlossen. Die Reihe trug wesentlich zur Sichtbarkeit populärer Autobiografik in Wissenschaft und Öffentlichkeit bei und hat Selbstzeugnissen aus unterschiedlichen Milieus eine grosse Leserschaft beschert. Einzelne Bände wie die Lebenserinnerungen der «Schwabengängerin» Regina Lampert (Bd. 9) erreichten nicht nur zahlreiche Auflagen, sondern trugen auch zu einer veränderten Wahrnehmung historischer Alltagswelten bei.

Informationen zu weiteren Buchreihen und Publikationen, die die EKWS in ihrer über 125-jährigen Geschichte – damals noch unter dem Namen SGV – herausbrachte, finden Sie auf der Unterseite Publikationen.

Seit 1897 gibt die SGV eine eigene wissenschaftliche Zeitschrift heraus, das Schweizerische Archiv für Volkskunde (SAVk). Gegründet von Eduard Hoffmann-Krayer, diente die anfänglich in vier jährlichen Nummern erscheinende Zeitschrift der Präsentation von Forschungsresultaten der sich etablierenden Disziplin Volkskunde wie zugleich auch dem Austausch zwischen den Mitgliedern, etwa über «Gesellschaftschroniken» oder mittels «Fragen an die Mitglieder». Diese Aufgaben übernahm ab 1911 das «Korrespondenzblatt», während sich das SAVk zu einem zentralen Organ des mittlerweile institutionalisierten Faches entwickelte. Heute ist die Zeitschrift ein international renommiertes Journal mit Begutachtungsverfahren, in dem sich in jährlich zwei Heften deutsch-, englisch- und französischsprachige Aufsätze zu volkskundlich-alltagskulturellen, regionalethnographischen und kulturwissenschaftlichen Themen ebenso wie zahlreiche Buchbesprechungen finden.

Das Korrespondenzblatt «Schweizer Volkskunde / Folklore suisse / Folclore svizzero» (SVk/FS) erschien von 1911 bis 2019 drei Mal jährlich. Alle 108 Jahrgänge des Korrespondenzblattes sind digitalisiert und vollständig auf E-Periodica einsehbar. 2019 wurde die gedruckte Ausgabe eingestellt und ab 2021 durch ein Online-Format weitergeführt: das bulletin. Für Alltag und Populäres ermöglicht den Dialog zwischen kulturwissenschaftlich interessierten Menschen. Die im Online-Magazin publizierten Beiträge geben Einblicke in aktuelle kulturwissenschaftliche Forschungen, kulturhistorische Entwicklungen und kulturelles Geschehen in der Schweiz und darüber hinaus. Kolumnist:innen berichten regelmässig über ihre Beobachtungen zu Alltäglichem und Populärem und in der Rubrik «Liaison» soll verführt werden: zum Lesen von ausgewählten Artikeln, die im SAVk erschienen sind.

 

Bibliothek

Bereits in ihrem Gründungsjahr 1896 begann die SGV mit der Anlage einer Fachbibliothek. Seither wurde der Bestand durch Neuerwerbungen sowie über den Tausch von Zeitschriften und Publikationen mit anderen wissenschaftlichen Institutionen in der ganzen Welt stetig erweitert. So entstand eine für die Schweiz einmalige volkskundlich-kulturwissenschaftliche Spezialbibliothek, die rund 72'000 Medien (in erster Linie Bücher, Zeitschriften, Broschüren, Separata und AV-Medien) umfasst. Neben Publikationen zur allgemeinen Volkskunde besteht eine Spezialabteilung für Volksliedforschung (ca. 4'000 Liederbücher und Literaturtitel). In den letzten Jahren wurde die Bibliothek der SGV gemeinsam mit der Bibliothek des Fachbereichs Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität Basel geführt. Per 1. Januar 2023 ging die SGV-Bibliothek in Besitz der Universität Basel über. Aktuell befinden sich die Medien aus der ehemaligen SGV-Bibliothek am Rheinsprung 9 in Basel in der Fachbereichsbibliothek Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität. Die Bestände der SGV-Bibliothek sind im Rechercheportal swisscovery nachgewiesen.