Filmarchiv

Geschichte & Ziele

Das Filmschaffen der EKWS begann 1942, als die Fachgesellschaft noch SGV (Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde) hiess. Im Bewusstsein des raschen Wandels ländlich-handwerklicher Arbeitsvorgänge wollte man diese vor ihrem «Aussterben» in Filmdokumenten festhalten. Befeuert wurde das Vorhaben vom ins Landesinnere gerichteten Blick im Zuge der «geistigen Landesverteidigung». So behandeln die ersten Filme Bereiche der ländlichen Arbeit in Graubünden, z.B. «Herstellen eines Holzeimers» 1943, «Blackenernte» 1945, «Waldarbeit im Prättigau» 1949. Gerade diese frühen Filme (auch aus dem Wallis) gelten heute als filmische Dokumente von hohem Seltenheitswert.

In den 1960er Jahren begann der damalige Abteilungsleiter Paul Hugger systematisch zahlreiche ländliche und städtische Handwerke zu erfassen, wobei zum Film jeweils auch eine Broschüre in der Reihe Altes Handwerk erschien (z.B. «Ein Fass entsteht» 1964, «Ein Korb wird geflochten» 1966, «Das Feilenhauen» 1969). Dabei förderte die SGV auch junge Westschweizer Filmemacher wie Yves Yersin und Claude Champion, die heute zu den bedeutendsten Schweizer Dokumentarfilmern zählen (z.B. «Heimposamenterei» von Y. Yersin 1973, «Le moulin Develey sis à la Quielle» von C. Champion 1971). Zu diesen von der SGV initiierten und finanzierten Unternehmen kamen dann Übernahmen interessanter Filme vor allem aus der Romandie und aus Oberitalien, die ähnliche Themen aufarbeiten (z.B. «Filatura a mano della seta» von A. Berbenni, «Les mineurs de la Presta» von der Groupe de Tannen).

Unter der Leitung von Dr. Hans-Ulrich Schlumpf von 1980 bis 2015 erfuhr das volkskundliche Filmschaffen eine thematische Ausweitung, wurden nun auch technisch-industrielle Arbeitsbereiche berücksichtigt, die durch die rasante technische Entwicklung obsolet wurden (z.B. «Umbruch» 1987 über die Umstellung vom Hand- auf den Computersatz im Druckgewerbe).

Das Filmarchiv der EKWS umfasst über hundert Werke, die eine in der Schweiz einmalige Sammlung von Dokumentarfilmen von Handwerken, ländlichen Arbeiten und der Arbeitswelt allgemein darstellen. 1993 erschien ein Filmkatalog, der die Sammlung nach inhaltlichen und filmischen Kriterien beschreibt und auch biografische Angaben über die an den Filmen beteiligten Wissenschaftler und Realisatoren vermittelt.

Der gezielte Ausbau dieser Sammlung trat später in den Hintergrund vor der Notwendigkeit, für die Konservierung gerade der älteren Filme zu sorgen. In einem auf drei Jahre (1994-1996) angelegten Projekt wurden von allen Filmen Videokopien hergestellt und gleichzeitig die älteren Filme zur Archivierung noch einmal überspielt und wo nötig repariert. Die Filmrollen lagern in der Cinémathèque suisse in Lausanne. Diese Aktion wurde 1997 mit Hilfe von MEMORIAV und anderen Sponsoren abgeschlossen.

Der zweite Schritt bestand in einer Neuorientierung der Produktion. Mit dem Aufkommen der digitalen Videotechnik, insbesondere dem DV-Format (Digital-Video) in der Mitte der 1990er Jahre, tat sich eine neue Möglichkeit auf, ethnografische Filme in hoher Bild- und Tonqualität billig zu produzieren. Die Thematik zukünftiger Filme wurde auf den ganzen volkskundlichen Bereich ausgeweitet. Ein erstes Projekt unter dem Titel «Filmethnografische Recherchen im Hauptbahnhof Zürich» in Zusammenarbeit mit dem Volkskundlichen Seminar der Universität Zürich (Leitung Prof. Dr. Ueli Gyr und Prof. Dr. Walter Leimgruber) wurde 1999 abgeschlossen. In fünf Videofilmen wurden Themen rund um den städtischen Kulturraum Bahnhof gestaltet: «Die Kartensammler», «Am Rand und mitten drin», «Immer wieder sonntags», «Zürich - ihre nächsten Anschlüsse», «Geheimnis Gepäck». 

Das Pilotprojekt zeigte Früchte: Zwischen 2000 und 2001 entstanden im Rahmen eines Seminars zur Heidi-Figur der Film «Heidis Land», der in der Heidi-Ausstellung im Zürcher Literaturmuseum Strauhof gezeigt wurde. Nach praktischen Einführungen in die Aufnahme- und Schnitttechnik realisieren seither Studierende des Seminars für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie (Basel) und des Instituts für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft  (Zürich) Seminar- und Masterarbeiten, vereinzelt sogar Dissertationen, audiovisuell. Als Produzentin fungiert dabei oft die Abteilung Film der EKWS. Damit ist ein lange angestrebtes Ziel der filmischen Arbeit im Wissenschaftskontext erreicht: Film beziehungsweise Video wird nach pionierhaften Bestrebungen in der visuellen Anthropologie vor allem im anglosächsischem Raum auch in der Schweiz als Darstellungs- und Reflexionsmittel von wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten akzeptiert. 

Die in den Zürcher und Basler Instituten entstandenen Videofilme befassen sich vor allem mit Alltagskultur. Es geht um so unterschiedliche Themen wie den Handygebrauch («Handy-Generation» von Elke Wurster 2003), die Gentrifizierung von Stadtteilen erzählt anhand eines Restaurants («Nordbrüggli» von Tobias Bernet, Köbi Gähwiler, Jürg Kaufmann 2008) oder um bauernde Frauen («Frauenbauer» von Rahel Grunder 2008). Lisa Röösli realisierte 2006 im Rahmen des von Hans-Ulrich Schlumpf geleiteten Nationalfondsprojekts «Landschaften und Lebensräume der Alpen» die erste audiovisuelle Dissertation in der Schweiz: den an Filmfestivals und im Fernsehen mehrfach gezeigten Dokumentarfilm «Hinterrhein. Umbruch im Bergdorf», der wie Marius Risis Dissertationsfilm «Im Lauf der Zeiten. Oberwalliser Lebenswelten» (2009) stark auf älteren SGV-Filmen als Quellen beruhte. Röösli und Risi setzten diese als Ausgangspunkt für Gespräche mit Nachkommen oder Bekannte der damals Porträtierten ein. 

Seit 2012 entstehen die meisten von der EKWS kooproduzierten Filme im Rahmen von Summer Schools in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universtität Basel und dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich.

Von Oktober 2016 bis April 2018 leitete Thomas Schärer die Abteilung Film. Zusammen mit Pierrine Saini schrieb er eine Dissertation zum ethnografischen Film in der Schweiz mit einem Hauptfokus auf die Filme der EKWS (betreut von Prof. Dr. Walter Leimgruber). Ihre Publikation ist 2019 erschienen.

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